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Farbenfrohe Armut

San Pedro La Laguna, Guatemala, August 2004
Armut und Schönheit vermischen sich in Guatemala auf unbegreifliche Weise. Bestürzende Verhältnisse kommen mit farbenprächtigen Trachten und einer faszinierenden Landschaft einher.

Je weiter wir nach Guatemala hineinreisen, umso mehr fallen uns die Unterschiede zu Mexiko auf: die Hütten sind noch schlichter, die Busse noch überfüllter, dafür aber auch umso bunter lackiert, ihre Abgase sind noch schwärzer und die Tiere am Straßenrand sind noch dürrer. Noch nie haben wir Menschen so hart arbeiten gesehen. Gleichzeitig bemerken wir aber noch etwas anderes: die Trachten sind selbst in den ärmsten Dörfern noch farbenfroher und raffinierter als in Mexiko. Selbst bei der harten Feldarbeit, beim Ziegenhüten, beim Kochen und Wäschewaschen tragen die guatemaltekischen Frauen aufwendig bestickte Blusen und lange Röcke aus handgewebten Stoffen. Je weiter wir ins Landesinnere kommen, umso mehr sehen wir auch Männer in Trachten. Auch sie tragen sehr bunt bestickte Hemden und Blusen, manche tragen kurze Röcke in braunen Webstoffen. Jedes Dorf hat seine eigene Tracht. Die Trachten sind für die Indigenas, die Nachfahren der Maya ein ganz wichtiges Element ihrer Identität.

Wie in Mexiko hören die Menschen in Guatemala viel Musik und das so laut wie möglich. Doch von Lebensfreude ist hier deutlich weniger zu spüren, auch wenn die gleichen schwungvollen Lieder aus den Boxen dröhnen. Die Gesichter sind ernst, von harter Arbeit auf den Feldern und in den heißen Küchen gezeichnet. Die Freude ist verhalten, die Gespräche erscheinen uns weniger lebhaft. Gegenüber den Mexikanern mit ihrem lärmenden Selbstbewußtsein wirken die Indigenas Guatemalas wie betäubt. Der Schatten der Vergangenheit lastet noch auf den Menschen, denen die Gewalttaten im 36 Jahre währenden Bürgerkrieg dumpfes Erdulden aufzwangen. Umso überraschender ist es, wenn uns die müden Gesichter plötzlich anstrahlen und freudig anlachen, nur weil wir sie höflich gegrüßt haben. Viele sind an unserer Reise interessiert und freuen sich sehr, wenn wir für einen kleinen Plausch eine Pause einlegen.
Hier in Guatemala werden wir allerdings auch erstmals aufdringlich angebettelt und zum Kauf gedrängt. Wir tun uns nicht leicht darin, den für uns besten Weg zu finden, damit umzugehen. Vor allem bei Kindern, die eigentlich in die Schule gehören, aber von ihren Eltern zum Geldverdienen auf die Straße geschickt werden. Sie verstehen es nicht, daß Menschen mit soviel Geld den Kauf schöner Web- und Stickarbeiten ablehnen können.

Durch Zufall geraten wir auf einen Kindergeburtstag und erleben die Guatemalteken auch einmal fröhlich feiernd. Während wir die in Bananenblätter eingewickelten Tamales genießen, vergnügen sich die kleinen und großen Kinder am Juego de Piñata. Es gilt mit verbundenen Augen eine Pappmache-Figur zu zerschlagen, in deren Bauch Süßigkeiten eingeschlossen sind.

Hier in Guatemala erfahren wir nun wie es ist, in einem Haus mit Wellblechdach zu schlafen: sehr laut. Bei Regen kann man sich kaum unterhalten, aber dafür übertönt der donnernde Regen auch die schrägen Gesänge aus der Kirche nahebei (Wo es wenig Wege aus der Armut gibt, haben Sekten Hochkonjunktur). Einen Wecker brauchen wir nicht: Die Vögel hopsen morgens über uns auf den Metallwellen herum, als sei es ein Percussion-Instrument. Es hört sich an, als hätten sie meterlange Klauen, dabei handelt es sich nur harmlose kleine Gartenvögel (oder?). Wir arbeiten noch daran, unsere Mordfantasien in Grenzen zu halten. Inzwischen wissen wir auch, wie es ist, Flöhe im Bett sowie Amöben und anderes Getier im Bauch zu haben. Was für die anderen total normal ist, ist für uns allerdings noch sehr gewöhnungsbedürftig.

In der täglichen Auseinandersetzung mit dem Leben der Menschen hier, lernen wir, das Armut nicht einfach Armut ist, sondern viele verschiedene Facetten und Spielarten kennt.

Erstellt in einem Internet Café in San Pedro La Laguna, Guatemala am 30. August 2004
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Fröhlicher Plausch am Straßenrand (mi)




Wunderschöne Berglandschaft bei Panajachel (mi)




Kindergeburtstag in Chuiatzan (mi)




Alter Kolonialbau in Quetzaltenango (mi)


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